Matthias Güldner schreibt minderbetwittert gegen das Internet – und gegen die Grünen (Update)
Auf seiner Homepage, die ich nur ungern mit einem Link würdige, da er da ohnehin keinerlei Kommentare zulässt, hat MdBB Matthias Güldner einen unsäglich ärgerlichen Text geschrieben, der ihn als Internetausdrucker ohne jede Sachkenntnis zeigt, der das 21.Jahrhundert weder verstehen noch die dort aktiven Menschen respektieren will. So weit, so schlecht. Zwei Dinge aber sorgen dafür, dass ich darüber nicht einfach zur Tagesordnung übergehe: (1) dieser Text ist auch als Kommentar bei Welt.de erschienen und seither viel zitiert und noch mehr verlinkt worden – (2) dieser Mensch ist nicht irgendein Bürgerschaftsabgeordneter, sondern Fraktionsvorsitzender von Bündnis90/Die Grünen.
Wer sich jetzt mit dem Thema Internetpolitik der Grünen so wenig beschäftigt wie Matthias Güldner mit dem Thema Internetsperren könnte auf die Idee kommen, das wäre die Meinung der Grünen, und tatsächlich wird uns schon jetzt diese Einzelmeinung nicht nur von Mitgliedern der Piratenpartei um die Ohren gehauen. An einigen Stellen im Netz (und auf dem Anrufbeantworter von Matthias Güldner, weil man so jemand nicht mit (einer Flut von) Emails erreicht) habe ich mich bereits dazu geäussert – hier will ich das nochmal sortiert und am Stück tun.
Hätte Matthias Güldner Einsicht in das Thema gehabt, hätte er vielleicht auch beim Thema Zensursula sich selbst zum Thema “Terror” zitiert und uns Grünen viele Nerven geschont:
Er sieht die bestehenden strafrechtlichen Möglichkeiten als ausreichend: “Das Vorhaben der großen Koalition in Berlin ist ein verfassungsrechtlicher Ritt über den Bodensee.” (Quelle)
Was hat er stattdessen geschrieben?
Es geht vielmehr knall hart um Definitionsmacht in Zeiten der Virtualisierung der Welt. Ihre Anhänger kämpfen mit hoch effektiven Mitteln für die Rechtsfreiheit ihres Raumes. Wer sich in ihre Scheinwelt einmischen will, wird mit Massenpetitionen per Mausklick weggebissen.
Die Tatsache, dass diese Community viel Zeit in virtuellen Räumen verbringt, spielt dabei eine große Rolle. Wer Ego-Shooter für Unterhaltung, Facebook für reales Leben, wer Twitter für reale Politik hält, scheint davon auszugehen, dass Gewalt keine Opfer in der Realwelt fordert. Anders kann die ignorante Argumentation gegen die Internetsperren gar nicht erklärt werden.
Matthias Güldner mag nicht der einzige unter den Grünen-Mitgliedern sein der so denkt. Gewiss ist er nicht der Einzige unter den Grünen-Wählern – und ich nehme mal an dass er noch Grün wählt, auch wenn von den Bundestagsgrünen keine einzige Stimme für Zensursula kam.
Was die Enthaltungen angeht wirst du mitbekommen haben, dass
1.) KEINE Grüne Stimme für Zensursula kam
2.) Die Grünen anwesend waren, während die Linke mit entsprechend viel Abwesenheit glänzte. Auch eine Enthaltung, oder? Kritisiert von den Piraten werden aber nur die Grünen.
3) es hinterher ausdrückliche Kritik und viele Diskussionen gab – und wieviele Grüne in wievielen Parteiämtern sich der gPetition der Zeitrafferin zum Thema angeschlossen haben.
Er ist Teil einer schwindenden Gruppe von internetfremden Skeptikern, die es in fast jeder Partei gibt – die bei den Grünen aber bereits die Minderheit ist, wie die guten und sinnvollen Parteitagsbeschlüsse gegen Internetzensur und “Netzsperren” zeigen, während die Altparteien davon noch eine satte Mehrheit in ihren Reihen haben dürften. Noch.
Der SPD’ler Christian Soeder bloggt dazu bei RotStehtUnsGut:
Meine These ist: Güldner ist in seiner Partei nicht so isoliert, wie es scheinen mag. Wenn man sich nur die Internetvordenker wie Julia Seeliger anschaut, wird man meine These als lächerlich abtun – wer sich die Grünen jedoch etwas näher anschaut, weiß, dass esoterisches Gedankengut immer wieder Einzug in offizielle Dokumente hält. Das Nanny-hafte, das Ziel, alles, was irgendwie schwierig und problematisch ist und Probleme geben könnte, den Staat regeln zu lassen, und zwar möglichst umfassend, ist Teilen der Grünen ebenfalls zuzuordnen.
Meine Antwort: Anthroposophisches Gedankengut gibt es bei den Grünen immer mal wieder. Esoterischeres immer seltener. (Und anthroposophisches Gedankengut hat den Wiedereinzug ins EP diesmal verpasst). Einen übertriebenen Hang nach dem Staat zu rufen sehe ich allerdings, egal was man von Grün21 halten mag, eher bei der SPD (und wenn es um law&order geht bei der CDU), nicht bei den Grünen, bei denen das libertäre Element durchaus stärker ist und Aktive wie ich, die im Vierteljahrestakt Unternehmensgründungen fördern, weniger die Ausnahme sind als Industriegewerkschafter aus der Zeit der Deutschland-AG.
Als Mitglied der Grünen Schiedskommission in Tübingen (nicht Bremen), der Bundesarbeitsgemeinschaft Europa der Grünen und des Web2.0 Wahlkampfteams von MdB Winne Hermann weiss ich mich hier mit Parteivorstand Malte Spitz und mit der Mehrheit der Parteiaktiven gemäss dem beschlossenen Bundestagswahlprogramm auf einer gemeinsamen – und klaren – Linie für einen sinnvollen Umgang mit dem Internet und modernen Medien.
Natürlich gibt es Internetkritische Skeptiker in allen Parlamentsparteien (so wie es Twitterer gibt die Sorgen wegen “Killerspielen” haben und Counterstrike-Spieler die das “Gezwitscher” komisch finden), aber bei uns Grünen sind sie bereits in der Minderheit, während sie bei den Altparteien noch die Mehrheit stellen – Noch!
Davon zeugen klare Stellungnahmen nicht nur des Bundesvorstands und der Partei, davon zeugt auch das gute auf der BDK in Berlin beschlossene Kapitel des Bundestagswahlprogramms der Grünen. Dass die Partei anders tickt als ein Matthias Güldner hat zum Beispiel auch die rasche und klar ablehnende Stellungsnahme der Parteivorsitzenden Claudia Roth gezeigt als die dumme Idee eines “Paintball-Verbots” aufkam (1).
Wer dazu noch Fragen hat, kann sich die Rede von Jörg Rupp bei der Karlsruher “Wir sind Gamer” Kundgebung bei YouTube ansehen, wo er auch die Pressemitteilung der Grünen Bundestagsfraktion zitiert:
Wer versucht, den komplexen Hintergrund jugendlicher Gewaltkriminalität allein über den Medienkonsum, also Computerspiele, Internet usw., zu erklären verengt unnötig seinen Blick. Monokausale Ansätze sind für die Erklärung solcher Phänomene ungeeignet. Die IMK und andere Politiker, wie Frau von der Leyen, verkaufen den Bürger schlicht weg für dumm, wenn sie den Eindruck erwecken, dass mit einem Verbot von so genannten Killerspielen, das Problem Jugendgewalt in den Griff zu bekommen wäre. (…) Für uns sind Computerspiele auch das Ergebnis kreativen, oft auch künstlerischen Schaffens und weisen eigene Inhalte, Ästhetik, Erzählstrukturen usw. auf. Sie sind die moderne Fortschreibung des altbekannten Spielens – mit neuen technischen Mitteln. Sie bergen große Potenziale, z.B. bei der Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten. Wir wollen mehr “gute” Spiele in den Regalen sehen.
…Und mehr aufgeklärte PolitikerInnen, die sich der Realität und differenzierter Sichtweise sowenig verschliessen wie unseren Parteibeschlüssen, möchte ich hinzufügen. Damit auch in Bremen Grüne nicht wie der CCC-aktive Sebastian austreten sondern wie Patrick Meiß aus dem Landesvorstand der Grünen Jugend Bremen aktiv bleiben.
Bei Twitter ist die Aufregung über Güldner gross, auch und gerade bei Grünen:
Aber auch dazu hat Matthias Güldner schon im Voraus eine Antwort:
“Da haben sich einige wohl das Hirn herausgetwittert.”(…) “Teile der Grünen – fasziniert von den Möglichkeiten der virtuellen Mobilisierung und hingerissen von ihrem eigenen Getwitter – erkennen, dass unsere Wähler und Wählerinnen eine hohe Affinität zu Menschenrechtsfragen haben, erst recht wenn Kinder die Opfer sind. Unser Umfeld kommt zu einem nicht unerheblichen Teil aus den erziehenden Berufen, ist selbst Mutter oder Vater. Die Internetsperren haben Umfragen zu Folge bei ihnen eine hohe Popularität. Die Glorifizierung des Internet wird vergehen.”
Ich bin zu einem nicht unerheblichen Teil meines Lebens Vater von zwei Mädchen (5 und 9), bin Sprecher des Vorstands des Gesamtelternbeirats der Kinderbetreuungseinrichtungen GEB in Tübingen, Vorsitzender des Landeselternrates LER Baden-Württemberg und diskutiere wie hier im Blog als Leiter des Runden Tischs Gewaltprävention das Thema “Killerspiele“, unterstütze seit Jahren das Portal http://www.gegen-missbrauch.de (anders als “Save the Children” keine gewinnorientierte sondern eine gemeinnützige Gruppe) und auch wenn ich als Mitglied der “Generation C64″ schon seit dem VC20 am Computer und schon seit dem Amiga im Netz aktiv bin, heute auch bei Twitter bzw. identi.ca, habe ich mir doch nicht “das Hirn rausgetwittert“. Im Gegensatz zu Matthias Güldner habe ich mir auch nicht durch parteischädigende Veröffentlichungen in der Springerpresse eine Ausschlussdiskussion verdient.
Die Glorifizierung des Internet wird vergehen? Der Fraktionsvorsitz von Matthias Güldner wird vergehen, sage ich dazu. Soll Matthias Güldner sich Herrn Berninger anschliessen – oder eben §5 Abs.2 der Landessatzung nochmal lesen und sich eines besseren besinnen. Die Grünen vertritt er nicht, und mit einer so grottigen Stellungnahme gegen die Parteibeschlüsse sollte er das auch nicht mehr dürfen. Jedenfalls gewinnt er damit nicht nur keinen Blumentopf, er verliert damit auch jede parteiinterne Auseinandersetzung.
Und das ist gut so.
Erstellt am Sonntag, 26. Juli 2009
Kategorie: Deutsch | 19 Kommentare »